Dienstag, 30. September 2025

Was frisst denn der Vogel da?

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Ein jugendlicher Kampfläufer im Neeracherried hat ein grösseres Insekt erbeutet.
Foto © Jörg Niederer
"Was der Bauer nicht kennt, das frisst er nicht. Würde der Städter kennen, was er frisst, er würde umgehend Bauer werden." Oliver Hassencamp (1921-1988)

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Es ist kein seltener Vogel der hier auf dem Bild zu sehen ist. Ein Kampfläufer im Jugendkleid. Ihren Namen haben die Wattvögel von ihren Kämpfen, die sie auf Arenen in den Brutgebieten um die Weibchen ausfechten. Dann tragen sie sehr individuelle Prachtkleider, bei dem der voluminöse und aufrichtbare Kragen eine wichtige Rolle spielt. Aktuell ist diese Schnepfenart auf dem Durchzug in südlichere Regionen.

Was ich aber nicht sicher erkennen kann: Welches Insekt hat der Vogel hier erbeutet bei seinem ruhelosen Herumstochern im sumpfigen Boden? Die KI irrt wohl deutlich mit ihren Spinnenvorschlägen, hat doch das Tier auf dem Bild nicht acht, sondern nur sechs Beine. Andere Vorschläge sind: Zikade, Köcherfliege, Heuschrecke und Libellenlarve. Ich tendiere zu Libellenlarve. Was denkst du, was da in Kürze im Verdauungstrakt des Kampfläufers landen wird?

Jörg Niederer

Montag, 29. September 2025

Holy Club-Podcast zu den Sozialen Grundsätzen

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Das Writing-Team zu den Sozialen Grundsätzen, bei dem ich 2015 in Washington D.C. mitwirken konnte.
Foto © Jörg Niederer
"'To reform the nation' – die Nation, das Land verändern. Das hat John Wesley schon früh als eines der wichtigsten Ziele der methodistischen Bewegung benannt." Aus dem Geleitwort der methodistischen Deutschen Zentralkonferenz zu den revidierten Sozialen Grundsätzen von 2024  

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Nun ist er da, der Holy Club-Podcast zu den Sozialen Grundsätzen der Evangelisch-methodistischen Kirche, von dem ich schon in einem früheren Blog-Beitrag (Siehe Beitrag vom 18. September 2025!) geschrieben habe. Darin durfte ich Auskunft geben über diesen besonderen Text der Kirche, der Anregung ist für einen ethisch verantworteten Lebensstil als Christ:innen. Da ich den gesamten Prozess der Revision von 2006 bis 2024 miterlebt haben, gab es im Interview auch viel zu sagen. Sarah Staub hat das Gespräch, das über eine Stunde dauerte, geschickt auf 45 Minuten zusammenkürzt.

Das Foto zeigt ein sogenanntes Writing Team (Schreibteam), bei dem ich (3. von rechts) mitwirken durfte bei der Neuformulierung von einigen Abschnitten der Sozialen Grundsätze.

Jörg Niederer

Sonntag, 28. September 2025

Gebetsentscheid

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Gemeinsame Gebetszeit an einer Retraite in Montmirail. So kommt Farbe ins Leben hinein.
Foto © Jörg Niederer

"Als es Tag wurde, rief er [Jesus] seine Jünger zu sich. Er wählte zwölf von ihnen aus, die er auch Apostel nannte."
Bibel, Lukas 6,13 

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Ich frage mich, welche Kriterien und welches Verfahren Jesus bei der Auswahl der Apostel angewandt hat. Gab es ein Casting, bei dem sich die einen Jünger blamierten und andere das Publikum berührten? Hatte Jesus überhaupt die Wahl? Gab es mehr als 12 in Frage kommende Jünger? Musste sich Jesus erst noch als Headhunter in den Fischerhäfen und an den Zöllen herumtreiben, bis er fündig wurde? Mussten die Jünger Prüfungen bestehen oder Studien absolvieren, bevor sie als Botschafter für Jesus Christus ausgesandt wurden? Spielte das Alter eine Rolle? Warum waren es nur Männer und nicht auch Frauen? Und wer bitte ist dieser Bartholomäus, und hatte er einen Bart? Warum wählte Jesus auch politisch zwielichtige Typen aus wie etwa Simon der "Zelot" (auf Deutsch "der Eiferer")? Bei Judas Iskariot, dem Verräter, hatte sich Jesus wohl total vergriffen. Warum stellte sich Jesus also diese kuriose Gruppe von Jüngern zusammen, um gerade sie zu lehren und zu beauftragen? (Siehe Lukas 6,12-16!)

Warum? Da hätte es wohl bessere Dreamteams gegeben, eine schlagfähigere, gebildetere und homogenere Truppe.

Vielleicht liegt die Antwort in dem, was als Einleitung steht: "Einmal in diesen Tagen stieg Jesus auf einen Berg, um zu beten. Die ganze Nacht betete er zu Gott." (Lukas 6,12).

Eine ganze Nacht betend auf einem Berg. Intensive Zeit im Gespräch mit Gott. Keine Vernunfts- und keine Bauchentscheidung. Eine Gebetsentscheidung, geboren an einem speziellen Ort, unter dem Sternenhimmel Abrahams, auf dem Gipfel des Fragens. Dort, bei Gott, findet Jesus die Antwort und seine zwölf Apostel.

Heute ist Sonntag. Du kannst heute auf einen "Berg" gehen, um zu beten.

Jörg Niederer 

Samstag, 27. September 2025

Zu Besuch bei Rothirschs

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Einer der Platz-Rothirsche, ein Gerader Vierzehnender, röhrt, um seine Vorherrschaft zu festigen auf der Wideregg.
Foto © Jörg Niederer
"Alter Hirsch nennt man den altgedienten Soldaten. … Der Ausdr. ist der Jägersprache entnommen, wo er das überständige Tier bez. - Auch eine alte Predigt, einen Vortrag, die schon vor Jahren gehalten worden sind und aus Verlegenheit noch einmal dargeboten werden, nennt man einen alten Hirsch..." Lutz Röhrich, Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten, Freiburg, Basel, Wien 1973, S. 388 

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Schon von weitem hörte man das Brüllen. Je näher man dem Beobachtungsstandort kommt, wird es lauter und mehrstimmig. Rothirsche. Jetzt in der Brunstzeit festigen sie ihre Vormachtstellung laut und eindrücklich.

Rothirsche lassen sich in vielen Wildparks bewundern. Aber in freier Natur ist es noch einmal etwas anderes. In Appenzell Innerrhoden ist die Revierjagt in vollem Gang. Dann jeweils versammelt sich das jagdbare Wild mit Vorliebe im Jagdbanngebiet Säntis. Da dürfen sie in der Regel nicht gejagt werden. Das wissen die stattlichen Wiederkäuer. So treffen auf der Wideregg schon seit vielen Jahren die verschiedenen Rudel aufeinander. Dort sind sie sicher vor den Jäger:innen. Wir beobachten sie in etwa 400-500 Metern Entfernung von einem idealen Standort auf der gegenüberliegenden Talseite aus. Dabei werden die Hirsche nicht gestört. Und doch scheinen sie zu wissen, dass wir uns dort aufhalten, schauen doch einige Tiere immer wieder zu uns herüber.

Ein stattlicher "Gerader Vierzehnender" hat alle Hufe voll zu tun, um weniger potente Nebenbuhler von seinem Rudel fernzuhalten. Immer wieder vertreibt er andere Stiere. Einer von ihnen setzt sich etwa hundert Meter entfernt ins Gras. Er weiss, dass er keine Chance hat. Der Vierzehnender kontrolliert unterdessen durch Abschnuppern und Lecken der Hirschdamen ihre Empfänglichkeit. Ab und zu muss er seine angestaute Aggression durch heftige Attacken auf den Boden abreagieren. Wie ein Pflug wirft er dabei die Scholle auf. 

Ich fotografiere durch die Spektive meiner Begleiter. Das gibt eher bescheidene Bilder. Mit zunehmender Dämmerung und aufziehenden Nebelschwanden wird die Beobachtung immer schwieriger. Zumindest entdecken wir ganz oben auf der Krete, da wo der Wanderweg hinauf zum Kronberg verläuft, noch vier Gämsen. Dann kommt das Nachtsichtgerät zum Einsatz. Mit ihm zeichnen sich immer mehr Rothirsche ab, die den sicheren Wald verlassen und auf die Wiese hinausziehen. Gut dreissig Tiere zählen wir, und es werden immer mehr. So wird es wohl die ganzen Nacht weitergehen. Wir aber fliehen nach dieser erfolgreichen Expedition vor dem zu erwartenden Regen hinab ins Tal.

Jörg Niederer

Freitag, 26. September 2025

Lost Church

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Laserkopie eines Polaroid-Dias, mit zwei toten Schmetterlingen in der unbenutzten Kapelle von Gontenschwil.
Foto © Jörg Niederer
"Wer nichts verändern will, wird auch das verlieren, was er bewahren möchte." Gustav Heinemann (1899-1976)

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Es war im letzten Jahrzehnt des vergangenen Jahrtausends, als ich im aargauischen Reinach auf eine Pfarrstelle kam. Damals gab es vier Kapellen der Evangelisch-methodistischen Kirche, die zu dieser Anstellung gehörten. In drei wurde noch gepredigt, eine Kapelle, die in Gontenschwil, wurde nicht mehr verwendet. Als ich sie besuchte, war es ein Lost Place, oder besser, eine Lost Church.

Dann versuchten wir, dort einen offenen Jugendtreff zu etablieren. Schulklassen bemalten die Innenwände, ein- bis zweimal pro Woche war die Kapelle am Abend geöffnet, drinnen konnte man Badminton spielen es gab kleine Feste und sogar noch einmal einen Gottesdienst.

Bevor aber all das geschah, habe ich Polaroidfotos aufgenommen, die eindrücklich eine vergangene Zeit in dieser Kapelle festgehalten haben. Aus dieser Serie ist der hier wiedergegebene Abzug. Er zeigt die Überreste zweier Tagpfauenaugen, wohl erbeutet von einer Spinne, die auch schon längst nicht mehr da ist. Mit den gemachten Bildern fand dann auch eine kleine Ausstellung statt. Das hier abgebildete Foto war betitelt mit den Worten. "In guten wie schlechten Zeiten".

Der Jugendtreff hatte nicht lange Bestand. Grund waren die sanitären Bedingungen. Die Kirche war nicht an die Kanalisation angeschlossen, und die Klärgrube war undicht. Aber entscheidend für das Ende des kurzeitigen neuen Lebens an diesem Ort waren die Einsprachen der Nachbarschaft.

Wie so viele ausgediente Kapellen wurde auch diese verkauft und umgenutzt. Heute ist sie ein Wohnhaus. Auf Satellitenaufnahmen ist zu erkennen, dass sogar eine Solaranlage das Dach ziert. Wer hätte das vor 30 Jahren wohl erahnt?

Jörg Niederer

Donnerstag, 25. September 2025

Regenschleier

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Im dichten Regen auf dem Zürichsee fährt an dem beim Landesmuseum startenden Schiffstaxi das Linienschiff Wädenswil vorbei.
Foto © Jörg Niederer
"Die endgültige Sabbatruhe steht also für das Volk Gottes noch aus... Wir wollen uns also anstrengen, zu jenem Ruheplatz zu kommen." Bibel: Hebräer 4,9+11

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Zürich im Regen. Eigentlich wollte ich die Arche 2.0 in der Wasserkirche bestaunen. Doch ausgerechnet diese Woche geht dort gar nichts. Während ich wieder zum Bahnhof zurück spaziere, sehe ich beim Storchen das Schiffstaxi anlegen, welches aussieht wie die Touristenboote in Amsterdam, und entscheide mich kurzentschlossen, mitzufahren. Viel zu sehen gibt es im Nebel nicht. Die Regentropfen auf den Scheiben lassen die Welt um mich herum verschwimmen, einem Schleier gleich. Ich denke an das Hochzeitspaar, dem ich auf der Rathausbrücke begegnet bin. Schleier trug die Braut zwar nicht, aber der Regen tat ja das seine.

Auf dem Rückweg auf dem Zürichsee passieren wir das Linienschiff "Wädenswil". Dann sind da auch die Mehlschwalben, die parallel zum Schiff wenige Zentimeter über dem Wasser Mücken jagen. Ein Fahrgast im Heck des Boots ist eingeschlafen. "So ein Regen hat auch sein Gutes", denke ich. "Er lässt dich zur Ruhe kommen." Und das für einmal ganz ohne Anstrengung.

Jörg Niederer

Mittwoch, 24. September 2025

Die Kunst der Würmer

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Wurmausscheidungen, aufgetürmt zu einem kleinen Kunstwerk.
Foto © Jörg Niederer
"Wer der Welt ein Heiland zu sein glaubt, thut gut, mit dreiunddreißig Jahren zu sterben." Ludwig Anzengruber (1839-1889)

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Wir Menschen geben ja viel auf unsere Kunstfertigkeit. Doch dann kommt so ein Wurm, und mit nichts als seinem Verdauungsapparat erschafft er aus dem Arsch heraus ein kleines, vergängliches Wunderwerk. Dies erst noch ohne hinzusehen. Ich könnte es nicht besser. Was schreibe ich da: Ich könnte es nur annähernd so gut, sicher nicht mit links und nur unter Einsatz von viel Zeit.

Dieser kleine wurmproduzierte Wolkenkratzer aus gefilterter Erde kommt locker an die Ingenieurskunst von Stararchitekten heran.

Wenn nun aber selbst Würmer so Bemerkenswertes schaffen, was ist dann schon der Mensch, der sehenden Auges ins Verderben zu rennen bereit ist? Türme bauen ist etwas für Würmer, bei den Menschen führt es stets zu Überheblichkeit.

Jörg Niederer

Dienstag, 23. September 2025

Da fehlt was

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Auf dem Franzosenweg in Frauenfeld landet man unweigerlich in einer Sackgasse.
Foto © Jörg Niederer
"Sackgassen sind nach oben hin offen!" Christine Brückner (1921–1996)

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Am Franzosenweg in Frauenfeld gibt es ein Haus, erbaut 1932/33 nach Plänen von Debrunner & Blankart für den Industriellen Walter Tuchschmid. Heute zählt diese Villa zu den bedeutenden Bauten der Kantonshauptstadt.

Ob am Franzosenweg Franzosen wohnen, weiss ich nicht. Doch von einer anderen Besonderheit des Franzosenwegs, der einem Bypass gleich zur Thundorfstrasse im Quartier Huben verläuft, weiss ich. Wobei "verlaufen" das richtige Wort ist. Der Franzosenweg verläuft sich buchstäblich, er verschwindet einfach. Kommt man vom Kantonsspital her, endet die Strasse beim Kleiberweg. Kommt man von der Stadt her, zweigt der Weg nach einiger Zeit in einer rechtwinkligen Kurve nach Osten ab. Zuvor ist für Autos aber kein Durchkommen mehr. Der Franzosenweg wird zu einer Privatstrasse mit Fahrverbot.

Zwischen diesen beiden "Enden" fehlt ein Teilstück. Stattdessen ist da eine Wiese mit Obstbäumen. Wer das eine Teilstück mit dem andern verbinden möchte, macht den Umweg über den Kleiberweg.

Es kommt vor, dass mir auf meinem Lebensweg auch so ein direktes Teilstück fehlt. Geradeaus geht es nicht mehr weiter. Das Vorankommen stockt. Vielleicht trete ich an Ort, muss mich neu orientieren. Doch meist findet sich ein Umweg, zwar mühsamer, mit einigen Richtungsänderungen. Doch es ist ein Weg, den ich gehen kann.

Ich wünsche uns allen heute Wege, die wir gehen können. Mögen es gute Wege werden.

Jörg Niederer

Montag, 22. September 2025

Geschenkverpackt

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Samenkapsel einer Gewöhnlichen Kornrade.
Foto © Jörg Niederer
"Nimm eine Handvoll guter Erde. Vielleicht findest du ein Samenkorn darin oder eine Raupe. Wäre deine Hand geduldig genug, würde der Same ein Wald und die Raupe eine Schar geflügelter Wesen werden." Khalil Gibran (1883–1931)

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Weil wir Mohnsamen essen, kennen wir die Kapseln, in denen die vielen Körnchen heranreifen, recht gut. Doch es gibt noch weitere Blumen, die genau so enden: in einer braungebrannten, trockenen Kapselfrucht. Unlängst bin ich in einer Buntbrache den Samenkapseln der Gewöhnlichen Kornrade begegnet. Nichts von der einst weiss geäderten purpur- oder rosafarbenen Blüte ist im Herbst mehr zu erahnen. An den trockenen, leicht brechenden Stängeln entdecke ich nach oben offenen Kapseln und darin die schwärzlichen, ei- bis nierenförmigen, warzenbesetzten Samen.

Geschenkverpackt erscheinen sie mir. Wie kleine, zentimetergrosse Tässchen, aus denen künftiges Leben hervorlugt. Allerdings muss das Geschenk geöffnet werden, sonst bleiben die Samen wirkungs- und leblos. Tiere und Wind leisten nur einen geringen Beitrag dazu. Es sind wir Menschen, die der Blume immer wieder neu zum Blühen verholfen haben, indem wir dieses sogenannte Ackerunkraut beim Dreschen ohne es zu wollen wieder ausgesät haben. Heute werden die Samen der Kornrade aus dem Dreschgut herausgesiebt. So finden sich diese Blumen kaum noch auf den Getreideäckern. Aber in den Buntbrachen gibt es für sie neuen Lebensraum.

Wie Mohnsamen essen sollte man die Kornraden-Samen aber nicht. Sie sind für uns Menschen giftig. Anschauen ist aber jederzeit erlaubt. Auch auspacken und wieder aussäen darf man sie, vorausgesetzt, man tut es nicht in einem Getreidefeld.

Jörg Niederer

Sonntag, 21. September 2025

Wil SG ist bemerkenswert

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Einige Kunstwerke der StreetArt Swiss vom 5.-10 August 2025 sind in der Innenstadt von Wil noch zu sehen.
Foto © Jörg Niederer
"Freut euch immerzu! Betet unablässig! Dankt Gott für alles! Denn das ist Gottes Wille, und das hat er durch Christus Jesus für euch möglich gemacht."
1. Thessalonicher 5,16-18 (Bibel)

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Wil ist eine bemerkenswerte St. Galler Stadt. Kürzlich war die Streetart Swiss 2025 in der Innenstadt zu Gast. Das da entstandene, fotografierte und schon etwas verblasste 3D-Strassenbild finde ich immer noch erstaunlich. Als würden sich die beiden Kinder wirklich in einer Wasserlache mitten auf der Einkaufsmeile vergnügen.

In Wil wohnen aber auch die beiden Pfarrpersonen, welche mich als Pfarrer in der Stadt St. Gallen und in Weinfelden beerbt habe. Das ist auch der Grund - und nicht etwas das in Wil ausgetragene gestrige Fussballcup-Spiel - dass ich ein Foto aus dieser schönen Stadt hier präsentiere. Denn heute um 10.00 Uhr beginnt der Antrittsgottesdienst von Pfarrer Richard Böck in der Evangelisch-methodistischen Kirche an der Hermannstrasse 10 in Weinfelden. Dabei werde ich auch einen Beitrag leisten dürfen. An diesem Tag werden Richard und seine Frau Esther ihr Taufbekenntnis ablegen und offiziell Mitglieder der Evangelisch-methodistischen Kirche werden. Meine Aufgabe wird es sein, sie auf diesem besonderen Weg zu begleiten.

Alle sind ganz herzlich zu diesem Gottesdienst eingeladen, der bei Kaffee und mehr ausklingen wird.

Jörg Niederer

Samstag, 20. September 2025

20 Jahre interreligiöse St. Galler Erklärung

Ein Zitat

Bundesrat Beat Jans mit muslimischen Anwesenden. Direkt rechts neben ihm Iman Yakup Gürgün und Imam Bekim Alimi.
Foto © Jörg Niederer
"Für das Zusammenleben gibt es kein Patentrezept. Der Weg kann nur über das offene Gespräch zum gegenseitigen Verständnis führen." Kurt Furgler (1924-2008)

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Gestern feierten rund 150 Geladene im Pfalzkeller St. Gallen das 20-jährige Bestehen der St. Galler Erklärung. Der Text regelt das friedliche Zusammenleben der Religionen im Kanton St. Gallen. Diese Initiative des Kantons hat im Verlauf der Jahre merklich zu einer besseren Verständigung von Staat und Religionen sowie der Religionen und ihren Vertreter:innen untereinander geführt.

Die Bedeutung der Erklärung wird auch dadurch erkennbar, dass mit Beat Jans ein Vertreter des Bundesrats am Anlass eine Rede hielt.

Zuvor gab es eine Einführung der St. Galler Regierungsrätin Laura Bucher, und ein Referat von Professor Dr. Christian M. Rutishauser von der Universität Luzern, ein Jesuit. Die Jesuiten waren bis ins Jahr 1973 als Orden in der Schweiz verboten. Laura Bucher betonte daher, wie sehr er hier in diesem interreligiösen Kontext willkommen sei.

Während Laura Bucher die St. Galler Erklärung als Gegenmodel zu Ängsten und Befürchtungen bezeichnete und das daraus erwachsene gegenseitige Vertrauen betonte, sah Christian Rutishauser die Begründung der Würde des Menschen - dieser sei ja letztlich auch nichts anderes als ein Zellhaufen - in der Gottebenbildlichkeit begründet; sprach über den Postsäkularismus; dass Religion ohne Bildung gefährlich sei und betonte, dass Dialog "durch das Wort" bedeutet, und nicht etwa Zweiergespräch.

In der Folge präsentierten dann Vertreter:innen von fünf Religionsgemeinschaften sinnige Gegenstände, die ihnen wichtig sind beim religiösen Dialog. Bischof Beat Grögli von der Römisch-katholischen Kirche öffnete einen Schirm als Dach und Schutz für alle Menschen. Der evangelisch-reformierte Kirchenratspräsident des Kantons St. Gallen, Pfarrer Martin Schmidt musste seinen Gegenstand nicht erst mitbringen, stand er doch schon die ganze Zeit davor: einen Tisch als Ort des Austauschs und des gemeinsamen Mahls. Rabbiner Shlomo Tikotchinski brachte den Tallit mit, den Gebetsmantel, auch Quastentuch genannt. Die eingewobenen blauen Fäden würden auf den Himmel verweisen, unter dem wir alle leben können. Imam Yakub Gürgün präsentierte eine Lampe, die mit ihrem Licht auf Gott als Licht des Lebens verweise. Phyllis Mertens von der Bahai' Gemeinschaft St. Gallen präsentierte ein Bild eines Hauses der Andacht, ein Ort, an dem aus allen Heiligen Schriften der Welt gelesen werde, und in den alle Menschen zu Beten eingeladen sind. Zuletzt brachte Jeyakumar Thurairajah von der Tamilisch-Hinduistischen Gemeinschaft das wichtigste Werk der tamilischen Literatur mit, das Tirukkural und zitierte daraus einen einzelnen Vers: "Alle Wesen sind bei Geburt gleich - bei der (inneren) Grösse verhält es sich anders wegen des Unterschieds in den Taten."

Ausschnitt aus der Tanzperformance der Kulturkosmonauten.
Foto © Jörg Niederer
Herausragend war dann die Rezitation einer "Friedenserklärung", erstellt von den Kulturkosmonauten. Zu diesen Worten führten sie eine eindrückliche Tanz-Performance auf. Ein Zitat daraus: "Frieden beginnt, wo der Wunsch nach Leben grösser wird als der Hunger nach Sieg. Wo wir nicht mehr zählen, wer angefangen hat – sondern wer aufhört."

Auch Bundesrat Jans fand passende Worte über das "Zusammenleben in einem vielfältigen Staat". Beim Einstieg und Schluss verwies er auf den Ort der Feier, den Keller, die Pfalz und fragte: "...was denn jetzt wäre, wenn man nicht mehr rauskäme. Wir sitzen alle im gleichen Keller. Es ist fast eine religiöse Erfahrung."

Einige weitere Zitate aus seiner Rede, die hier nachgelesen werden kann:

"Religionsgemeinschaften … schaffen Orte der Gemeinschaft. Orte, an denen Menschen Zugehörigkeit und Unterstützung finden."

"Die wirklich wichtigen und heiklen Dinge überlässt der Bund bekanntlich den Kantonen. So auch die Regelung des Verhältnisses zwischen Kirche und Staat. Nicht einmal im Bundesrat gibt es deshalb eine klare Zuständigkeit. Wahrscheinlich bin ich heute hier, weil das Jüngste Gericht irgendwie zu meinem Verantwortungsbereich als Justizminister zu passen scheint."

"Aber heute gehe ich gerne an Gottesdienste und religiöse Feiern."

"Natürlich unterscheiden sich die Religionen in vielerlei Hinsicht: In ihren heiligen Schriften, ihren Gottesbildern, ihren Ritualen und Traditionen. Im Austausch wird aber sichtbar, was sie eint: Die Überzeugung, dass es etwas Wichtigeres gibt als unsere Existenz. Dass wir alle Teil von etwas Grösserem sind. Und vor allem, dass wir alle Menschen sind."

"Wir leben in unsicheren und turbulenten Zeiten. Vieles ist komplex. Die Versuchung sich auf das 'Eigene' zurückzuziehen und das 'Fremde' als Bedrohung zu sehen, ist gross. Die St. Galler Erklärung hält dagegen. Sie erinnert uns daran: Unterschiede sind bereichernd – und können verbinden."

"Da frage ich mich: Warum ist die St. Galler Erklärung nicht auch eine Basler Erklärung?"

"Die 'Fastnacht' war traditionell die Nacht vor der 40-tägigen Fastenzeit vor Ostern. Die letzte Gelegenheit, um nochmals ausgelassen zu feiern und reichlich zu trinken und zu essen. Womit wir beim Apéro angelangt wären. Ganz im Sinne der St. Galler Erklärung freue ich mich auf offene Gespräche über welchen Gott auch immer und die Welt. Aber Obacht: In allen grossen Religionen ist Masshalten eine Tugend und Völlerei ein Laster. Auch das verbindet uns."

Noch ein Hinweis. Morgen Sonntag um 15.00 Uhr findet auf dem Klosterplatz das Interreligiöse Gebet statt. An diesem Anlass wird die St. Galler Erklärung in einer Vielzahl von Sprachen verlesen. Alle sind herzlich eingeladen.

Jörg Niederer


Freitag, 19. September 2025

Grünspecht-Gastspiel

Ein Zitat

Ein Grünspecht löchert regelmässig den Rasen vor dem Mehrfamilienhaus.
Foto © Jörg Niederer
"Ich fühle mich in der ganzen Welt zu Hause, wo es Wolken und Vögel und Menschentränen gibt." Rosa Luxemburg (1871-1919)

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In manchen Kreisen wird er als Lachender Hans Europas bezeichnet: der Grünspecht. Immer einmal wieder ist sein auffälliger Ruf vor unserem Schlafzimmerfenster zu hören. Wenn dann morgens der Spielplatz vor dem Haus menschenleer ist, kann man ihn über längere Zeit beobachten, wie er nach Ameisen den Boden absucht. Dazu hackt er wohl bestehende Gänge mit seinem Schnabel auf, um mit seiner 10 Zentimeter langen klebrigen und mit Widerhaken versehenen Zunge die Ameisen aus dem Untergrund herauszufischen.

Von den Elstern, die immer auch auftauchen, wenn der Insektenjäger im Gelände ist, lässt er sich wenig stören. Gelegentlich fliegt er an einen Baumstamm, um dann nach wenigen Sekunden wieder seine Bodenerkundigungen aufzunehmen.

Wenn ich früh am Morgen den Grünspecht rufen höre, weiss ich, dass ich zuhause bin. Sein Lachen gehört, wie der Duft der Zuckerproduktion, zu dem Ort, an dem ich nun schon seit 16 Jahren leben darf.

Jörg Niederer

Donnerstag, 18. September 2025

Aufzeichnung für den Holy Club

Ein Zitat

Gemeindeglieder und Pfarrpersonen nach dem Gottesdienstbesuch in einer Evangelisch-methodistischen Kirche in Kinshasa, der Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo.
Foto © Jörg Niederer
"Indem wir unsere Aufgabe wahrnehmen, uns um die Schöpfung zu kümmern, ermöglichen wir allen anderen Teilen der Schöpfung, die ihnen zugedachten Rollen im Bund mit Gott zu erfüllen (Genesis 2,7-15)." Aus der Präambel zu den Sozialen Grundsätzen 2024 der Evangelisch-methodistischen Kirche.

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Umwelt und Natur werden in den Sozialen Grundsätzen der Evangelisch-methodistischen Kirche prominent an erster Stelle behandelt. Der Weg zu den 2024 von der Generalkonferenz angenommenen neuen Fassung nahm seinen Anfang 2006 an einer Internationalen Konsultation in Wien und ging wesentlich von den europäischen Methodistenkirchen aus. Über die ganze Zeit war ich in diesen Prozess involviert.

Warum ich das schreibe? Heute wird eine Podcast-Folge mit mir für den Holy Club aufgenommen. Das ist der "Podcast von, mit und über Methodist*innen - und alle, die's noch werden wollen!". Darin geht es prominent auch um diesen zur Verfassung der weltweiten United Methodist Church gehörenden Text. Zugleich sind die Sozialen Grundsätze nicht verbindlich. Im Vorwort steht: "Die Sozialen Grundsätze gelten nicht als Kirchenrecht. Sie sind eine von Gebet und Ernsthaftigkeit getragene Bemühung der Generalkonferenz, von einer soliden biblischen und theologischen Grundlage aus auf Fragen der gegenwärtigen Welt einzugehen und dabei unsere guten methodistischen Traditionen zu bewahren. Sie sind ein Aufruf zu Treue und sozialem Engagement und sollen in gutem prophetischem Geist aufklären und überzeugen."

Auf dem Weg zu den neuen Sozialen Grundsätzen war ich das bisher einzige Mal auch in Afrika. In der Demokratischen Republik Kongo fand in dessen Hauptstadt Kinshasa im September 2014 ein Hearing mit Vertreter:innen aus einem grösseren Teil Afrikas statt. Ich durfte daran teilnehmen als europäischer Delegierter des General Board Church and Society (GBCS). Dabei besuchten wir am Sonntag auch einen eindrücklichen Gottesdienst in einer der Methodistenkirchen dieser Metropole. Ethische Fragen bekommen ein anderes, globaleres Gewicht, wenn man einmal an endlosen Slums vorbeigefahren ist, und dann die Menschen trifft, wie sie in ihren schönsten Kleidern den Gottesdienst in einer sehr bescheiden wirkenden Kirche besuchen, wie sie singen und beten, wie sie sich engagieren und ihr Leben mit andern teilen.

Damals bekam ich auch einen ersten Eindruck von einer Pandemie, war doch gerade Ebola ein grosses Thema, und am Flughafen wäre eine Ein- oder Ausreise mit Fieber unmöglich gewesen. 

Soviel einmal. Ich verspreche rechtzeitig an dieser Stelle mitzuteilen, wann der heute aufgezeichnete Podcast mit mir ausgestrahlt wird.

Jörg Niederer

Mittwoch, 17. September 2025

Sukzessive Bigamistinnen

Ein Zitat

Ein Zwergstrandläufer sucht beim Neeracherried eine Schlickfläche nach Futter ab.
Foto © Jörg Niederer
"Wer natürlich wirken will, hat die Natürlichkeit damit schon verscherzt." Erhard Blanck (1942 - 2024)

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Zwergstrandläufer gehören zu den weltweit kleinsten Wattvögeln. Sie sind etwa so gross wie Spatzen und sehr leistungsfähige Zugvögel. Bei uns sind sie denn auch nur während des Vogelzugs zu sehen, der im Herbst vom hohen Norden nach Afrika oder Asien führt und im Frühjahr wieder zurück. Aktuell schwankt die Sichtungszahl in der Schweiz zwischen 100 und 300 Tieren.

Der Zwergstandläufer ist ein weiteres Beispiel, dass es mit der Sexualität nicht so einfach ist, wie sich das manche Menschen vorstellen, wenn sie das Adjektiv "unnatürlich" verwenden. Die Zwergstrandläufer sind sogenannte sukzessive Bigamisten. Die Weibchen paaren sich oft mit zwei Männchen und legen parallel zwei Nester an. Das eine Nest wird vom ersten Männchen bebrütet, das zweite vom Weibchen. Die Aufzucht von den schnell das Nest verlassenden Küken erfolgt dann wieder gemeinsam.

Es gibt eben fast nichts, das nicht natürlich ist. Darum ist das Wort "natürlich" wenig hilfreich in Diskussionen über moralische Themen.

Jörg Niederer

Dienstag, 16. September 2025

Flugkunst

Ein Zitat

Drei Rostgänse fliegen nahe beieinander einige Runden über dem Klingnauer Stausee.
Foto © Jörg Niederer
"Wenn einer, der mit Mühe kaum / Gekrochen ist auf einen Baum, / Schon meint, dass er ein Vogel wär, / So irrt sich der." Wilhelm Busch (1832–1908)

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Sind Vögel im Schwarm oder Formationsflug jemals zusammengestossen und abgestürzt? Ich wüsste nicht, dass ich solches schon einmal gehört hätte. Und wenn, dann hätten sich diese sich in der Luft wohl problemlos wieder formieren können. Auch nicht gehört habe ich, dass sie wegen Verwirbelungen vorausfliegender Tiere erst nach 2 Minuten starten können, wie das bei Passagierflugzeugen der Fall ist. Beim Fliegen gilt es für Menschen so viel zu beachten. Als Gleitschirmpilot:in muss man die Abwinde und walzenförmigen Luftströmungen erahnen. Mindestgeschwindigkeiten gilt es mit allen Fluggeräten einzuhalten. Die Vögel wissen und können das instinktiv. Auch die Rostgänse, die am Klingnauer Stausee einige Runden drehten, um dann in Formation wieder im Wasser zu landen. Das ist einfach nur bewundernswert.

Zu den Rostgänsen. Am Klingnauer Stausee hat es von ihnen geschätzt sicher an die 600 Tiere. Dabei waren sie vor 1950 hier gar nicht heimisch. Ihr eigentliches Zuhause sind die Steppen und Halbwüsten Asiens und Nordafrikas. Bei uns wurden die schönen Tiere als Ziervögel eingeführt. Davon sind dann wohl irgendwann einmal einige ausgebüxt, und haben sich in der freien Wildbahn bestens eingelebt. Laut Vogelwarte Sempach sei das für einheimische Vögel ein Problem, weil sich Rostgänse während der Brutzeit äusserst aggressiv verhalten würden. Nun, sie sind da, und am Klingnauer Stausee nicht mehr wegzudenken.

Jörg Niederer

Montag, 15. September 2025

Versammlung

Ein Zitat

Gleich sieben der Kleinen Kohlweisslinge versammeln sich dicht gedrängt an einer Stelle des Feldwegs.
Foto © Jörg Niederer
"Wenn man nicht weiss, was man zu einer Gesellschaft anziehen soll, kommt man am besten als erste. Dann haben die anderen das Gefühl, falsch angezogen zu sein." Dagmar Koller (*1939)

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Gleich sieben der Kleinen Kohlweisslinge versammeln sich an einer bestimmten Stelle am Boden. Dort saugen sie wohl Feuchtigkeit, vielleicht auch spezielle Salze und Minerale.

Ob der Bauer an dieser Ansammlung Freude hat. Die Raupen mögen ja besonders den Kohl, was doch zu beachtlichen Ernteschäden führen kann.

Ob sich die Schmetterlinge absprechen? Wenn in einem Gebiet allzu viele von ihnen vorkommen, dann versammelt sich ein Teil von ihnen und fliegt im Verband an einen anderen Ort. Um sich zu versammeln und um gemeinsam wegzufliegen braucht es eine irgend geartete Kommunikation. Was in diesen kleinen Gehirnen wohl so abläuft? Sagt da der eine Schmetterling: "Kommt, hier ist gut saugen!", und die anderen folgen willig?

Ich merke, dass ich es zunehmend schätze, mit anderen unterwegs zu sein. Das Lebensgefühl hat sich verändert. Wie ist das wohl bei Schmetterlingen?

Noch eine letzte Frage: Wie ist es, wenn Schmetterlinge Schmetterlinge im Bauch haben?

Jörg Niederer

Sonntag, 14. September 2025

Zeichen

Ein Zitat

Eines der Kreuzweg-Kreuze in der Sankt Magdalena-Kapelle Steinegg bei Appenzell.
Foto © Jörg Niederer
"Es wird in diesem Sinne künftig auch darum gehen, als Kirche sozusagen viel weniger Gastgeber und dafür häufiger Gast zu sein." Burkhard Hose

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Im Interview-Buch "Meine Hoffnung übersteigt alle Grenzen" erzählen Schwester Philippa Rath und Burkhard Hose aus ihrem Leben. So erfährt man, wie Schwester Philippa ihre früh an Demenz erkrankte leibliche Schwester 15 Jahre lang bis zu ihrem Tod begleitet hat. Dabei erlebte sie auch Ohnmachtsgefühle, die sie dennoch aushalten musste. Sie erzählt: 

"Eine konkrete Erfahrung hat mir in dieser Zeit einmal sehr geholfen. Ich war wieder einmal an einem Tiefpunkt angelangt und dachte, ich schaffe es nicht mehr. Ich hatte ein Keramik-Kreuz in meiner Zelle an der Wand hängen. Daran habe ich mich in dieser Zeit im übertragenen Sinn oft festgehalten. Das war mein Kreuz, vor dem ich beten konnte. dann eines Nachts ist es mit voller Wucht auf den Boden gefallen und in tausend Stücke zerbrochen. Als es hell wurde, sah ich, dass an der Wand, wo das Kreuz gehangen hatte, ein weisses Lichtkreuz erschienen war. Das Keramik-Kreuz hat dort jahrelang gehangen, und Wände dunkeln ja nach. auf einmal war da also ein hellleuchtendes weisses Kreuz an der Wand. das war für mich eine zutiefst spirituelle Erfahrung. Das Dunkel des Kreuzes war zerbrochen und dann strahlte aus dem Dunkel ein neues Licht auf. Es fühlte sich an wie eine Auferstehung mitten im Leben." (Philippa Rath / Burkhard Hose: Meine Hoffnung übersteigt alle Grenzen, Freiburg im Breisgau 2024, Seite 62-63)

Eindrücklich, finde ich, und eine passendes Erfahrung für den Sonntag du das Leben.

Jörg Niederer


 

 

Samstag, 13. September 2025

Goodbye Roman Rieger

Ein Zitat

Roman Rieger überreicht Erika Miskos-Fritschi ein Schokoladeherz.
Foto © Jörg Niederer
"Ihr seid zur Freiheit berufen, Schwestern und Brüder." Lebensmotto von Roman Rieger: Bibel, Galater 5,13

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Zu meinen ersten Erfahrungen in der Ökumene der Stadt St. Gallen gehörten Einsätze, die von der Cityseelsorge organisiert wurden. Ich wirkte mit bei "Popup-Weihnachten" und später dann "Beim Namen nennen". Bei solchen Anlässen begegnete man unweigerlich Roman Rieger. Gestern wurde er von vielen Gästen und dem Team der Cityseelsorge in einem Fest verabschiedet. Nicht aus der Römisch-katholischen Kirche. Der bleibt er als neu von Bischof Beat Grögli berufener Leiter des Pastoralamts treu. Auf die Frage, ob er sich auf diese neue Aufgabe freue, meinte er: "Ja, ich freue mich sehr und ich habe auch grossen Respekt davor."

Am Abschiedsfest trafen Roman Rieger und der neue Leiter der Cityseelsorge Bruno Fluder etwas verspätet ein. Da war der Saal des DomZentrums schon fast bis auf den letzten Platz gefüllt. Der Grund dieser Verspätung erfuhren alle dann vom Cityseelsorgeteam: Roman und Bruno wurden auf eine Art moderne Schnitzeljagd geschickt, auf einen sogenannten Actionbound.

Was sie auf dieser kleinen Reise durch die Stadt erlebten, passt gut in das Konzept der Cityseelsorge. Da mussten die beiden die Geschichte von Gallus und dem Bären neu schreiben, in der Schokoladenmanufaktur den übrigen Teammitgliedern passende Schokolade besorgen, in der Stadt eine Frau und einen Mann zu ihren Wünschen an den lieben Gott befragen, in einem Musikinstrumente-Laden ein Duett mit Qerflöte, Tüttüt und Gesang zum Besten geben und schlussendlich noch das entwendete Lastenfahrrad der mobilen Cityseelsorge finden und wieder fahrtüchtig machen. Fast wäre letzteres nicht mehr gelungen, befand sich doch der Schlüssel des Fahrzeugs bei M-Way, und die beiden waren 10 Minuten vor Ladenschluss noch nicht dort angekommen.

Als bleibendes Abschiedsgeschenk gab es für Roman Rieger ein gerahmtes Bild der Begriffswolke seiner guten Eigenschaften. Da kann man zum Beispiel in grossen und weniger grossen Lettern lesen: "hilfsbereit", "engagiert", "musikalisch", "respektvoll", "familienmensch", "immer-schwarz-tragend", oder "kugelschreiberhosentasche". Tatsächlich führt Roman Rieger immer drei Kugelschreiber mit sich, die in seiner Hosentasche angesteckt sind.

Natürlich gab es auch Musik, wobei sich Roman Rieger auf der Klarinette gleich selbst zum Abschied spielte, zusammen mit Ann-Kathrin Gässlein am Klavier.

Gegessen wurde auch, für einmal nicht Wurst sondern libanesisch, und zu guter Letzt auch noch ein Dessertbuffet.

Ich wünsche Roman Rieger in seiner neuen Aufgabe von Herzen Gottes Segen, und dass er dabei seinem Motto entsprechend auch die Freiheit der Gotteskinder erfahren darf.

Jörg Niederer

Freitag, 12. September 2025

Schüga in Erwartung

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Auf dem menschenleeren Busbahnhof Heerbrugg steht verlassen ein einsames Schützengartenbier.
Foto © Jörg Niederer
"Das Warten der Gerechten wird Freude werden; aber der Gottlosen Hoffnung wird verloren sein." Bibel, Sprüche 10,28

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Sonntagmorgenfrüh in 9435. Bahnhof Heerbrugg. Ein einsames Schützengartenbier steht verlassen mitten auf dem Platz. Am Bussbahnhof wartet ein Postauto. Der Zug auf dem Perron 1 nimmt fahrt auf. Das "Schüga" bleibt, bis sich wohl einer oder eine, die dazu angestellt und vielleicht auch berufen ist, sich seiner erbarmt und es wegräumt, entsorgt.

Tristesse in Rheintal. Was da wohl geschehen sein könnte? Hat das Bier nicht gemundet? Verlangte die Situation ein übereiltes Aufbrechen? War es das letzte einer Reihe, und damit einfach zu viel des "Guten"? Ist das Werbung? Ist das eine Kunstinstallation?

Ich werde es nie erfahren. Wie bei so vielem.

Antworten bleiben offen. Das Leben ist noch nicht alles Fragen los. Was wohl erwartet mich an diesem neuen Tag?

Jörg Niederer

Donnerstag, 11. September 2025

Exoten in der Schweiz

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Zwei der rund 20 jugendlichen Rosa Flamingos, die sich aktuell am Klingnauer Stausee aufhalten.
Foto © Jörg Niederer
"Pinkige Plastikflamingos standen früher überall in den amerikanischen Vorgärten, dann gehörten sie zur Deko von Schwulenbars, und heute stehen sie auch in mit Kitsch überfrachteten Einfamilienhausgärten Mitteleuropas. Im besten Falle verdrängen sie den Gartenzwerg, falls der noch nicht vom Künstler Pavel Schmidt weggesprengt wurde, womit er vor einigen Jahren für Aufruhr in der Kunstszene sorgte." Urs Heinz Aerni in: Tom Krausz, Aves - Vögel, München 2020 

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Aktuell steigt das schweizerische Aufkommen von Bildern und Fotos von Rosa Flamingos in den Sozialen Medien massiv an, und da will ich natürlich diesem Trend nicht hintenanstehen. Der Grund ist allseits bekannt. Seit einer Woche befindet sich eine Abordnung dieser pittoresken Vögel am Klingnauer Stausee. Es sind Jungtiere, vermutlich aus der Camargue, die - wie Jugendliche eben sind - neugierig die nähere und weitere Umgebung erkunden. Die typische rosa Färbung werden sie bei uns aber eher nicht bekommen. Es fehlen die entsprechenden Futtertiere, Salinenkrebschen, die sie aus Brack- und Salzwasser mit ihrem speziellen Schnabel herausfiltern, indem sie sich stämpfelnd um ihre eigene Mundöffnung herumdrehen. Es sind nicht die ersten Flamingos, die den Weg in die Schweiz gefunden haben. Auch am Flachsee wurden sie schon gesichtet.

Mich fasziniert dieser unglaublich lange Hals. Nur dank ihm kommen sie trotz langer Beine, deren Gelenke irgendwie in die falsche Richtung einklappen, bis auf den Boden. Wobei es aussieht, als wären es zwei aufeinandergesetzte Hälse, die da ihre Arbeit versehen. Denn etwa auf halber Höhe ist ein deutlicher Knick zu erkennen.

Gestern am Klingnauer Stausee war ich nicht der einzige Schaulustige. Nachdem die Rosa Flamingos selbst der Gratiszeitung 20 Minuten eine positive Schlagzeile wert waren, strömten die Paparazzi und auch eine grössere Zahl ornithologisch ganz unbedarfter Männer, Frauen und Familien mit Kindern an den langgezogenen See, so dass mancher sportliche Velofahrer nicht sonderlich erfreut war. Nun ist das Fotografieren von so grossen Vögeln, mit entsprechendem Teleobjektiv versehen, keine grosse Kunst. Also versuchte ich mich auch noch ein bisschen an gerade fliegendem Getier und entdeckte nebst Waldwasserläufern, Grünschenkel, Grossen Brachvögeln und Eisvögeln dank freundlicher Hilfe von Gleichgesinnten auch eine Zwergdommel und einige Heringsmöwen. Es ist eben auch manchmal von Vorteil, wenn ganze Heerscharen von Ornithologinnen und Ornithologen dasselbe tun.

Zu eurer Freude oder eurem Leidwesen werde ich also in den kommenden Tagen das eine oder andere Foto von mehr oder weniger seltenen Vögeln hier publizieren. Wem das Zuviel wird, darf sich gerne bei mir melden.

Jörg Niederer

Mittwoch, 10. September 2025

Freiflugjäger

Ein Zitat

Ein Baumfalke setzt zum Sturzflug an.
Foto © Jörg Niederer
"Man erkennt den Falken am Flug." Sprichwort aus Russland

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Libellen fliegen und jagen virtuos. Aber noch geschickter sind die Baumfalken. Sie pflücken Libellen und kleine Vögel aus der Luft. Davon habe ich schon gestern im Blog über Libellen geschrieben (Siehe aber auch den Beitrag vom 13. Juni 2023!). Pfeilschnell jagen die Zugvögel hinter ihrer Beute her.

Hier bei uns brüten die Baumfalken und ziehen ihre Jungen gross. Unlängst beobachtete und fotografierte ich gleich sechs dieser eleganten Raubvögel über dem Neeracherried. Später im Jahr dann werden sie ihrer Hauptbeute, den Schwalben, ins Winterquartier folgen. Doch jetzt sind sie noch in der Schweiz anzutreffen. 

Ein Baumfalke verspeist im Flug sein Beutetier, während eine Libelle in seiner Nähe gefährlich lebt.
Foto © Jörg Niederer
Baumfalken sind die einzigen, welche ihre Beute gleich auch in der Luft zerlegen und verzerren. Das sieht man schön auf dem zweiten Bild. Leider sind die Fotos nicht wirklich gut. Die Luftakrobaten waren viel zu weit weg. Aber als Beleg mögen sie gehen. Auf diesem zweiten Bild verspeist der Baumfalke ein leider undefinierbares Beutetier. Auch mit auf dem Foto ist eine Libelle. Sie lebt gefährlich in diesem Raubvogel-Ballungsgebiet.

Wer den geschickten Freiflugjägern zuschaut, wird fasziniert sein von deren Flugmanöver. Alles geschieht in hoher Geschwindigkeit und mit unglaublicher Präzision. So geht fliegen.

Jörg Niederer

Dienstag, 9. September 2025

Erwischt

Ein Zitat

Die Herbst-Mosaikjungfer, eine Libellenart, im Flug.
Foto © Jörg Niederer
"Magie bedeutet, das Wunder in jeder Kleinigkeit der Natur zu sehen, zu sehen, wie wunderbar die Glühwürmchen und wie magisch die Libellen sind."
– Ama H. Vanniarachchy, Journalistin aus Sri Lanka

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Endlich habe ich eine Libelle im Flug so fotografieren können, dass das Insekt auf dem Foto scharf abgebildet ist. Das ist gar nicht so einfach. Wobei man heutzutage vielfältig technisch von der Kamera unterstützt wird. So sucht sich die Kamera den Fokus selbst und verfolgt erst noch das Hauptmotiv, in diesem Fall eine Herbst-Mosaikjungfer. Wenn ich halb den Auslöser durchdrücke, nimmt die Kamera schon bis 15 Bilder auf. Falls ich beim Abdrücken eine halbe Sekunde zu spät war, ist das nicht weiter schlimm, sind doch nun 15 Bilder vor dem Abdrücken ebenfalls gespeichert. Das auch die Flügel der Libelle im Flug wie eingefroren erscheinen, liegt daran, dass die Verschlusszeit der Kamera bei 1/3200 Sekunde lag. Zuhause kann ich mir dann in aller Seelenruhe das beste Foto aussuchen, und wenn ich will, die anderen wieder löschen.

Auch bei der Nachbearbeitung des Bildes kann ich auf hervorragende Software zurückgreifen, die etwas die Schärfe erhöht oder das Foto fast verlustfrei Vergrössert.

Und doch, auch mit all dieser technischen Unterstützung war es nicht einfach, die Libelle im Flug zu erwischen. Oft war sie schon an einem anderen Ort, wenn ich sie noch da suchte, wo sie eben noch war. Dann wieder schwebte sie mehrere Sekunden am selben Ort, nur dass der Fokus der Kamera sich mehr für deren Hintergrund interessierte als für die Libelle selbst.

Nun ist es aber getan. Ist die Herbst-Mosaikjungfer nicht wunderschön anzusehen.

Morgen zeige ich euch, wer diese Tierchen als Leibspeise aus der Luft sammelt, und dabei, anders als ich, so gar keine Probleme hat, sie zu erwischen.

Jörg Niederer

Montag, 8. September 2025

Flugshow

Ein Zitat

Ein Kiebitz in elegantem Vorbeiflug.
Foto © Jörg Niederer
"Mit dem Fliegen warte, bis dir Flügel wachsen!" Sorbisches Sprichwort

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Es gab so einiges an Vögeln zu beobachten im Neeracherried. Nebst den obligaten Störchen, Stockenten, Löffelenten, Gänsesägern, Silberreiher, Graureiher, Kormoranen, Turmfalken, Milanen, Mäusebussarden, Kiebitzen (im Bild) und Bekassinen sah ich Dunkelwasserläufer, Grünschenkel, Kampfläufer, Bruchwasserläufer, einen Neuntöter, einen seltenen Flussregenpfeifer sowie einen noch selteneren Zwergstrandläufer. Ein ganzer Trupp Baumfalken jagte nach Libellen und kleinen Vögeln. Immer wieder gab es Interaktionen zwischen den Tieren. Da ein kurzer Kampf zwischen Storch und Graureiher, dort verjagte ein Kiebitz den anderen. Der Kampfläufer wollte den Bruchwasserläufer nicht neben sich und die Baumfalken frassen ihre Beute gleich fliegend. Ein, zweimal rauschte es und an die 60-80 Kiebitze, wohl aufgeschreckt von einem Raubvogel, flogen auf, um sich nach und nach wieder zu beruhigen und in elegantem Flug auf einer Sandbank zu landen.

Es ist erstaunlich, was in einem intakten Ried alles geschieht und zu sehen ist. Davon bräuchten wir noch mehr, und nicht nur dort, wo Flugzeug- und Autolärm das Leben für Menschen nicht besonders attraktiv machen. Solche Ried- und Moorflächen helfen auch bei der Reduktion und Speicherung von CO2, mehr noch als Waldflächen. Aktuell wird im Kanton Zürich beim Katzensee ein solches Flachmoor wieder hergestellt. Dieses Gebiet wurde einst für die Abfallentsorgung genutzt. Nun wird der Müll auf einer weiteren Fläche abgetragen und das Gebiet naturnah modelliert. Der Katzensee, ein Naherholungsgebiet der Stadt Zürich, ist bekannt für die grosse Zahl an Zwergdommeln, die dort brüten. Noch häufiger sind die Spaziergänger:innen. Es ist eben attraktiv, Natur von der Haustür zu erleben.

Jörg Niederer

Sonntag, 7. September 2025

Sieben Glasfenster

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Sieben Glasfenster in der Friedenskirche in Olten.
Foto © Jörg Niederer
"Ja, du selbst, Herr, bringst Licht in mein Leben. Der Herr macht alles Dunkle um mich hell." Bibel, 2. Samuel 22,29

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Die Glasfenster auf der Südwestseite der Friedenskirche in Olten sind mir früher nicht besonders aufgefallen. Doch unlängst war ich wieder einmal in der Kirche, welche ich jahrelang tags und nachts beim Schlagen der Viertelstunden hören konnte. Da habe ich gestaunt über dieses Farbenspiel in dieser grössten evangelischen-reformierten Kirche der Region. 760 Menschen finden darin Platz. Ob sie dann zu dieser "siebenarmigen", leuchtenden Fensterreihe hochgeschaut haben?

Die Friedenskirche hat schon viel erlebt, so auch die Trauung meiner Eltern und soweit ich weiss auch meine Taufe. Auch wurde schon auf die Zeiger der Uhr geschossen. Später dann waren die vergoldeten Teile der Uhr einige Zeit abmontiert. Gelegentlich, etwa am Vögeligartenfest, kann man den 60 Meter hohen Turm besteigen. Die Glocken darin wiegen 10,6 Tonnen. Heute schweigen sie während der Nacht.

Die Friedenskirche wurde 1903 von Fritz von Niederhäusern gebaut. Der Architekt hat auch den Walter-Verlag, die Usego, das Historische Museum und das Hotel Schweizerhof in Olten erstellt.

Mir ist die Kirche zu schnörkellos, zu geometrisch, zu erdrückend. Aber auf den Turm möchte ich einmal hoch. Denn da war ich noch nie. Ich müsste von dort oben mein Elternhaus sehen können.

Uns allen wünsche ich heute einen gesegneten Sonntag.

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Jörg Niederer 

Samstag, 6. September 2025

Regenbogen-Spaziergang

Ein Zitat

Regenbogen über der Schaffhauserstrasse in Frauenfeld.
Foto © Jörg Niederer
"Das Lachen ist der Regenbogen, / Der dunklem Grund des Sturms entsteigt..."
Anastasius Grün (1806–1876)

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Es sah nicht nach Regen aus. Dann kam er doch.

Auf dem Nachhauseweg der Regenbogen. Erst war nur wenig zu sehen, ein kurzes Segment, eine Vorahnung. Doch dann zeigte er sich ganz, und blieb, bis ich Zuhause war.

Ein Spaziergang mit Regenbogen. Einmal mehr ein Geschenk des Himmels. 

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Jörg Niederer

Freitag, 5. September 2025

Vallotton und der Persönlichkeitsschutz

Ein Zitat

Félix Vallottons Bild "La charrette / Der Wagen" von 1911, Kunst Museum Winterthur (Hahnloser/Jaeggli Stiftung).
Foto © Jörg Niederer
"Ich arbeite den ganzen Tag und manchmal auch abends. Ich gehe selten aus, gehe in die Bibliothek und sehe wenig Leute, was mir ganz recht ist", schrieb Félix Vallotton 1895 in seiner Pariser Zeit

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Gestern, kurz vor Torschluss am 7. September, habe ich in Winterthur die Ausstellung "Illusions perdues" mit Bildern und Holzschnitten des Malers Félix Vallotton (1865-1925) besucht. International einer der bekanntesten Schweizer Künstler seiner Zeit, führen seine Werke weg vom Konzept der Naturtreue, direkt in die Moderne. Vallotton malte ein messerscharfes, kritisches Bild seiner Zeit.

Die Landschaftsgemälde gehören zu den späteren Werken. Sie stellen keine real existierende Landschaften dar. Es sind aus verschiedenen Elementen zusammengesetzte, artifizielle Bilder, die so aber durchaus irgendwo vorkommen könnten. Damit hat er vorweggenommen, was mit der künstlichen Intelligenz heute vieltausendfach produziert wird. Allerdings ist der Maler den Maschinen noch deutlich überlegen. Da gibt es keinen Finger zu viel, kein Bein macht sich selbständig.

Das hier abgebildete Werk "La charrette" (Der Wagen) zeigt mehr Landschaft denn Wagen. Dieser scheint nur da zu sein, damit im Bild etwas geschieht. Zudem ist dieser Einachser von hinten und in einiger Entfernung zu sehen. Viel ist daran nicht erkennbar, ein weisses Pferd mit Augenklappe, eine beleibte oder dick eingehüllte Person.

Mir geschieht es gelegentlich, dass ich den Zeitpunkt für ein Foto verpasse. Dann ist das, was ich zeigen will, schon fast zur Nebensache geworden. So kommt mir die Position des Wagens auf diesem Gemälde vor. Der Maler hat den rechten Zeitpunkt verpasst. Das kann aber nicht sein, denn anders als ein Fotograf kann ein Maler sein Bild freier so gestalten, wie er will.

Tatsächlich definiert der Wagen das ganze Bild, verleiht im Spannung und Dynamik. Ohne dieses Element hätte das Gemälde wohl nicht in die Sonderausstellung gefunden.

Noch etwas fällt mir aus Sicht eines Fotografen auf. Ich habe Skrupel, ein Pferdewagen so mit der Kamera zu erfassen, dass die Gesichter der Menschen darauf erkennbar werden. Aus rechtlichen Gründen wäre dies auch heikel. Also fotografiere ich Reitende meist von hinten und so, dass keine Rückschlüsse auf die abgebildeten Personen gezogen werden können. Interessant, dass Vallotton uns auch keine Anhaltspunkte gibt auf die Person, dort auf dem hecken- und waldgesäumten Weg ins Nirgendwo. Als wollte er die Identität des Menschen schützen.

Dazu eine Frage: Lässt du dich gerne fotografieren oder abbilden?

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Jörg Niederer

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