Ein Zitat
"Für das Zusammenleben gibt es kein Patentrezept. Der Weg kann nur über das offene Gespräch zum gegenseitigen Verständnis führen." Kurt Furgler (1924-2008)
Foto © Jörg Niederer
Hingesehen
Gestern feierten rund 150 Geladene im Pfalzkeller St. Gallen das 20-jährige Bestehen der St. Galler Erklärung. Der Text regelt das friedliche Zusammenleben der Religionen im Kanton St. Gallen. Diese Initiative des Kantons hat im Verlauf der Jahre merklich zu einer besseren Verständigung von Staat und Religionen sowie der Religionen und ihren Vertreter:innen untereinander geführt.
Die Bedeutung der Erklärung wird auch dadurch erkennbar, dass mit Beat Jans ein Vertreter des Bundesrats am Anlass eine Rede hielt.
Zuvor gab es eine Einführung der St. Galler Regierungsrätin Laura Bucher, und ein Referat von Professor Dr. Christian M. Rutishauser von der Universität Luzern, ein Jesuit. Die Jesuiten waren bis ins Jahr 1973 als Orden in der Schweiz verboten. Laura Bucher betonte daher, wie sehr er hier in diesem interreligiösen Kontext willkommen sei.
Während Laura Bucher die St. Galler Erklärung als Gegenmodel zu Ängsten und Befürchtungen bezeichnete und das daraus erwachsene gegenseitige Vertrauen betonte, sah Christian Rutishauser die Begründung der Würde des Menschen - dieser sei ja letztlich auch nichts anderes als ein Zellhaufen - in der Gottebenbildlichkeit begründet; sprach über den Postsäkularismus; dass Religion ohne Bildung gefährlich sei und betonte, dass Dialog "durch das Wort" bedeutet, und nicht etwa Zweiergespräch.
In der Folge präsentierten dann Vertreter:innen von fünf Religionsgemeinschaften sinnige Gegenstände, die ihnen wichtig sind beim religiösen Dialog. Bischof Beat Grögli von der Römisch-katholischen Kirche öffnete einen Schirm als Dach und Schutz für alle Menschen. Der evangelisch-reformierte Kirchenratspräsident des Kantons St. Gallen, Pfarrer Martin Schmidt musste seinen Gegenstand nicht erst mitbringen, stand er doch schon die ganze Zeit davor: einen Tisch als Ort des Austauschs und des gemeinsamen Mahls. Rabbiner Shlomo Tikotchinski brachte den Tallit mit, den Gebetsmantel, auch Quastentuch genannt. Die eingewobenen blauen Fäden würden auf den Himmel verweisen, unter dem wir alle leben können. Imam Yakub Gürgün präsentierte eine Lampe, die mit ihrem Licht auf Gott als Licht des Lebens verweise. Phyllis Mertens von der Bahai' Gemeinschaft St. Gallen präsentierte ein Bild eines Hauses der Andacht, ein Ort, an dem aus allen Heiligen Schriften der Welt gelesen werde, und in den alle Menschen zu Beten eingeladen sind. Zuletzt brachte Jeyakumar Thurairajah von der Tamilisch-Hinduistischen Gemeinschaft das wichtigste Werk der tamilischen Literatur mit, das Tirukkural und zitierte daraus einen einzelnen Vers: "Alle Wesen sind bei Geburt gleich - bei der (inneren) Grösse verhält es sich anders wegen des Unterschieds in den Taten."
Herausragend war dann die Rezitation einer "Friedenserklärung", erstellt von den Kulturkosmonauten. Zu diesen Worten führten sie eine eindrückliche Tanz-Performance auf. Ein Zitat daraus: "Frieden beginnt, wo der Wunsch nach Leben grösser wird als der Hunger nach Sieg. Wo wir nicht mehr zählen, wer angefangen hat – sondern wer aufhört."
Foto © Jörg Niederer
Auch Bundesrat Jans fand passende Worte über das "Zusammenleben in einem vielfältigen Staat". Beim Einstieg und Schluss verwies er auf den Ort der Feier, den Keller, die Pfalz und fragte: "...was denn jetzt wäre, wenn man nicht mehr rauskäme. Wir sitzen alle im gleichen Keller. Es ist fast eine religiöse Erfahrung."
Einige weitere Zitate aus seiner Rede, die hier nachgelesen werden kann:
"Religionsgemeinschaften … schaffen Orte der Gemeinschaft. Orte, an denen Menschen Zugehörigkeit und Unterstützung finden."
"Die wirklich wichtigen und heiklen Dinge überlässt der Bund bekanntlich den Kantonen. So auch die Regelung des Verhältnisses zwischen Kirche und Staat. Nicht einmal im Bundesrat gibt es deshalb eine klare Zuständigkeit. Wahrscheinlich bin ich heute hier, weil das Jüngste Gericht irgendwie zu meinem Verantwortungsbereich als Justizminister zu passen scheint."
"Aber heute gehe ich gerne an Gottesdienste und religiöse Feiern."
"Natürlich unterscheiden sich die Religionen in vielerlei Hinsicht: In ihren heiligen Schriften, ihren Gottesbildern, ihren Ritualen und Traditionen. Im Austausch wird aber sichtbar, was sie eint: Die Überzeugung, dass es etwas Wichtigeres gibt als unsere Existenz. Dass wir alle Teil von etwas Grösserem sind. Und vor allem, dass wir alle Menschen sind."
"Wir leben in unsicheren und turbulenten Zeiten. Vieles ist komplex. Die Versuchung sich auf das 'Eigene' zurückzuziehen und das 'Fremde' als Bedrohung zu sehen, ist gross. Die St. Galler Erklärung hält dagegen. Sie erinnert uns daran: Unterschiede sind bereichernd – und können verbinden."
"Da frage ich mich: Warum ist die St. Galler Erklärung nicht auch eine Basler Erklärung?"
"Die 'Fastnacht' war traditionell die Nacht vor der 40-tägigen Fastenzeit vor Ostern. Die letzte Gelegenheit, um nochmals ausgelassen zu feiern und reichlich zu trinken und zu essen. Womit wir beim Apéro angelangt wären. Ganz im Sinne der St. Galler Erklärung freue ich mich auf offene Gespräche über welchen Gott auch immer und die Welt. Aber Obacht: In allen grossen Religionen ist Masshalten eine Tugend und Völlerei ein Laster. Auch das verbindet uns."
Noch ein Hinweis. Morgen Sonntag um 15.00 Uhr findet auf dem Klosterplatz das Interreligiöse Gebet statt. An diesem Anlass wird die St. Galler Erklärung in einer Vielzahl von Sprachen verlesen. Alle sind herzlich eingeladen.
Jörg Niederer
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