Freitag, 5. September 2025

Vallotton und der Persönlichkeitsschutz

Ein Zitat

Félix Vallottons Bild "La charrette / Der Wagen" von 1911, Kunst Museum Winterthur (Hahnloser/Jaeggli Stiftung).
Foto © Jörg Niederer
"Ich arbeite den ganzen Tag und manchmal auch abends. Ich gehe selten aus, gehe in die Bibliothek und sehe wenig Leute, was mir ganz recht ist", schrieb Félix Vallotton 1895 in seiner Pariser Zeit

Hingesehen

Gestern, kurz vor Torschluss am 7. September, habe ich in Winterthur die Ausstellung "Illusions perdues" mit Bildern und Holzschnitten des Malers Félix Vallotton (1865-1925) besucht. International einer der bekanntesten Schweizer Künstler seiner Zeit, führen seine Werke weg vom Konzept der Naturtreue, direkt in die Moderne. Vallotton malte ein messerscharfes, kritisches Bild seiner Zeit.

Die Landschaftsgemälde gehören zu den späteren Werken. Sie stellen keine real existierende Landschaften dar. Es sind aus verschiedenen Elementen zusammengesetzte, artifizielle Bilder, die so aber durchaus irgendwo vorkommen könnten. Damit hat er vorweggenommen, was mit der künstlichen Intelligenz heute vieltausendfach produziert wird. Allerdings ist der Maler den Maschinen noch deutlich überlegen. Da gibt es keinen Finger zu viel, kein Bein macht sich selbständig.

Das hier abgebildete Werk "La charrette" (Der Wagen) zeigt mehr Landschaft denn Wagen. Dieser scheint nur da zu sein, damit im Bild etwas geschieht. Zudem ist dieser Einachser von hinten und in einiger Entfernung zu sehen. Viel ist daran nicht erkennbar, ein weisses Pferd mit Augenklappe, eine beleibte oder dick eingehüllte Person.

Mir geschieht es gelegentlich, dass ich den Zeitpunkt für ein Foto verpasse. Dann ist das, was ich zeigen will, schon fast zur Nebensache geworden. So kommt mir die Position des Wagens auf diesem Gemälde vor. Der Maler hat den rechten Zeitpunkt verpasst. Das kann aber nicht sein, denn anders als ein Fotograf kann ein Maler sein Bild freier so gestalten, wie er will.

Tatsächlich definiert der Wagen das ganze Bild, verleiht im Spannung und Dynamik. Ohne dieses Element hätte das Gemälde wohl nicht in die Sonderausstellung gefunden.

Noch etwas fällt mir aus Sicht eines Fotografen auf. Ich habe Skrupel, ein Pferdewagen so mit der Kamera zu erfassen, dass die Gesichter der Menschen darauf erkennbar werden. Aus rechtlichen Gründen wäre dies auch heikel. Also fotografiere ich Reitende meist von hinten und so, dass keine Rückschlüsse auf die abgebildeten Personen gezogen werden können. Interessant, dass Vallotton uns auch keine Anhaltspunkte gibt auf die Person, dort auf dem hecken- und waldgesäumten Weg ins Nirgendwo. Als wollte er die Identität des Menschen schützen.

Dazu eine Frage: Lässt du dich gerne fotografieren oder abbilden?

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Jörg Niederer

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