Ein Zitat
"Alter Hirsch nennt man den altgedienten Soldaten. … Der Ausdr. ist der Jägersprache entnommen, wo er das überständige Tier bez. - Auch eine alte Predigt, einen Vortrag, die schon vor Jahren gehalten worden sind und aus Verlegenheit noch einmal dargeboten werden, nennt man einen alten Hirsch..." Lutz Röhrich, Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten, Freiburg, Basel, Wien 1973, S. 388 
Foto © Jörg Niederer
Hingesehen
Schon von weitem hörte man das Brüllen. Je näher man dem Beobachtungsstandort kommt, wird es lauter und mehrstimmig. Rothirsche. Jetzt in der Brunstzeit festigen sie ihre Vormachtstellung laut und eindrücklich.
Rothirsche lassen sich in vielen Wildparks bewundern. Aber in freier Natur ist es noch einmal etwas anderes. In Appenzell Innerrhoden ist die Revierjagt in vollem Gang. Dann jeweils versammelt sich das jagdbare Wild mit Vorliebe im Jagdbanngebiet Säntis. Da dürfen sie in der Regel nicht gejagt werden. Das wissen die stattlichen Wiederkäuer. So treffen auf der Wideregg schon seit vielen Jahren die verschiedenen Rudel aufeinander. Dort sind sie sicher vor den Jäger:innen. Wir beobachten sie in etwa 400-500 Metern Entfernung von einem idealen Standort auf der gegenüberliegenden Talseite aus. Dabei werden die Hirsche nicht gestört. Und doch scheinen sie zu wissen, dass wir uns dort aufhalten, schauen doch einige Tiere immer wieder zu uns herüber.
Ein stattlicher "Gerader Vierzehnender" hat alle Hufe voll zu tun, um weniger potente Nebenbuhler von seinem Rudel fernzuhalten. Immer wieder vertreibt er andere Stiere. Einer von ihnen setzt sich etwa hundert Meter entfernt ins Gras. Er weiss, dass er keine Chance hat. Der Vierzehnender kontrolliert unterdessen durch Abschnuppern und Lecken der Hirschdamen ihre Empfänglichkeit. Ab und zu muss er seine angestaute Aggression durch heftige Attacken auf den Boden abreagieren. Wie ein Pflug wirft er dabei die Scholle auf.
Ich fotografiere durch die Spektive meiner Begleiter. Das gibt eher bescheidene Bilder. Mit zunehmender Dämmerung und aufziehenden Nebelschwanden wird die Beobachtung immer schwieriger. Zumindest entdecken wir ganz oben auf der Krete, da wo der Wanderweg hinauf zum Kronberg verläuft, noch vier Gämsen. Dann kommt das Nachtsichtgerät zum Einsatz. Mit ihm zeichnen sich immer mehr Rothirsche ab, die den sicheren Wald verlassen und auf die Wiese hinausziehen. Gut dreissig Tiere zählen wir, und es werden immer mehr. So wird es wohl die ganzen Nacht weitergehen. Wir aber fliehen nach dieser erfolgreichen Expedition vor dem zu erwartenden Regen hinab ins Tal.
Jörg Niederer
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