Montag, 17. November 2025

Wilhelm Busch und die Halbseitenzwitter

Ein Zitat

Ein Hahn der Sorte Appenzeller Spitzhauben wacht über seine Hühnerschar.
Foto © Jörg Niederer
"Es gibt mehr Ding' im Himmel und auf Erden, als Eure Schulweisheit sich träumt." William Shakespeare, Hamlet - The Tragedy of Hamlet, 1. Akt, 5. Szene

Hingesehen

In Wilhelm Buschs Geschichte von Max und Moritz wird im ersten Streich dem Hahn und den drei Hennen von Witwe Bolte den Garaus gemacht. Den Abschluss ihres traurigen Endes beschreibt Wilhelm Busch so: 

"Ach, sie bleiben an dem langen, / Dürren Ast des Baumes hangen. / Und ihr Hals wird lang und länger, / Ihr Gesang wird bang und bänger.
Jedes legt noch schnell ein Ei, / Und dann kommt der Tod herbei."

Wobei, der Hahn legt auf der Karikatur natürlich kein Ei, sondern er verrichtet ein letztes Mal sein Geschäft.

Nun habe ich aber im Buch "Bitch" der Zoologin, Dokumentarfilmerin und Moderatorin Lucy Cooke gelesen, dass es gar nicht so abwegig sei, das ein Hahn ein Ei legt. So kennt die Forschung seit den 1920er Jahren sogenannte Halbseitenzwitter. Einerseits kommen sie in der Wildnis vor, etwa beim Rotkardinal, auch bei Schmetterlingen und Krustentieren, aber eben auch bei Haushühner. Bei den beobachteten Geflügel-Chimären ist die eine Seite des Tiers männlich, mit allem drum und dran, inklusive einem Hoden und stärkerem Knochenbau, die andere Seite ist weiblich und folglich von schwächerem Körperbau und natürlich ausgestattet mit Eierstock. Mit anderen Worten: Ein solcher Halbseitenzwitter ist in der Lage, Eier zu legen, aber stellt als Hahn im Korb auch den Hühnern nach.

Lucy Cooke schreibt dazu: "...sie entstehen, wenn Zwillingsembryonen zu einem sehr frühen Zeitpunkt ihrer Entwicklung (zwischen dem 2-Zell- und dem 64-Zell-Stadium) verschmelzen..." (Lucy Cooke, Bitch, München 2023, S. 58)

Ein derartiges Huhn-Hahn-Tier kann man auf dieser Webseite bestaunen. Ich bin fasziniert, was es an Variabilität in der Natur gibt. Im selben Buch schon im ersten Kapitel habe ich gelernt, dass es im Tierreich alles gibt. Weibchen, die XX oder XY-Chromosomen haben genauso wie Männchen. Es gibt Tiere, die ihr Geschlecht je nach Situation und Umständen wechseln. Selbst das Maulwurfsweibchen ist ein Beispiel dafür. Er hat innere Fortpflanzungsorgane, die an einem Ende Ovarien (Eierstöcke) und am anderen Ende Hoden aufweisen. So ist die Unterscheidung, ob ein Maulwurf männlich oder weiblich ist, alles andere, als eine simple Sache.

Wie sagte doch einst ein erfundener Kerl in einem weltbekannten Werk: "There are more things in Heaven and Earth […] / Than are dream't of in your Philosophy."

Jörg Niederer

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