Ein Zitat
"Abraham sagte: 'Mein Herr, wenn ich Gnade vor dir gefunden habe, dann geh nicht hier vorüber. Ich stehe dir zu Diensten'." Bibel, 1. Mose 18,3
Foto © Jörg Niederer
Hingesehen
Drei wildfremde Menschen stehen vor dem Zelt Abrahams. Er kennt sie nicht. Doch er lädt sich sogleich zum Essen ein. Das ist orientalische Gastfreundschaft.
Ich stelle mir vor, wie ich, ein Schweizer, in der Wohnung sitze. Da klingelt es. "Ja", frage ich durch die Gegensprechanlage. Jemand fragt im gebrochenen Deutsch, ob er mit mir sprechen dürfe. Ich bin misstrauisch. Was will denn der? Warum läutet er bei mir?
Ich überwinde mein Misstrauen und öffne. Nun steht er vor der offenen Wohnungstür. Kein Hausierer, kein Bettler. Und doch weiss ich nicht recht, ob ich ihn hereinbitten will.
"Was möchten Sie?" frage ich ihn. "Nur mit Ihnen reden und einen Kaffee trinken", antwortet er. "Sie wollen mit mir meinen Kaffee trinken, an meinem Tisch sitzen, und auf Kosten von meiner Zeit mit mir reden." Nun müsste er merken, dass ich nicht begeistert bin. "Sie sind nicht etwa von den Zeugen Jehovas?" frage ich ihn. Er schweigt. Er hat verstanden. Bei uns steht nicht jedem X-beliebigen die Tür offen. Bei uns kann man nicht einfach so kommen. Bei uns sind Gäste willkommen – nach Voranmeldung und mit gültigen Ausweispapieren. Ich schliesse die Wohnungstür. Ich bin froh, dass er von alleine wieder gegangen ist.
Was wäre, wenn Abraham derart seinen Besuch weggewiesen hätte? Er hätte die Ankündigung seines Lebens verpasst. Es sind manchmal Fremde, die dir das Wichtigste im Leben sagen. Wie heisst es doch im Hebräerbrief 13,2: "Vergesst die Gastfreundschaft nicht. Denn auf diese Weise haben manche, ohne es zu wissen, Engel als Gäste aufgenommen."
Jörg Niederer
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